Für das Sortiment stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, ob das Geschäft mit E-Books auch für Buchhandlugen mit positiven Effekten verbunden ist. Unter bestimmten Umständen können auch sie vom digitalen Wandel profitieren.

Ein erfolgreiches Modell für den Verkauf von E-Books muss die den Raum und die Gegebenheiten des Sortiments berücksichtigen, zugleich die Möglichkeiten der Technik des 21. Jahrhunderts ausschöpfen. Wenig hilfreich ist es dabei, auf halben Wege von analog zu digital stehenbleiben, irgendwo zwischen dem Antiquierten und dem Unfertigen. Soll also ein Buchhändler in Zukunft tatsächlich USB-Sticks in einer schönen Verpackung verkaufen, auf denen E-Books gespeichert sind? Kann man in Zeiten von Tablets und Netbooks an die Zukunft der CD-ROM oder der USB-Trägermedien glauben? Oder, setzt man ernsthaft auf Download-Stationen (“E-Book-Transfer-Tools”), die es Buchhändlern erlauben, ihren Kunden den Bezug von E-Books über kabelgebundene Ladestationen zu ermöglichen? Wohl kaum.

Nun, mit E-Books Umsätze zu generieren ist durchaus eine Herausorderung. Dass sich Buchhandlungen mit eigenen Portalen im Internet präsentieren, ist selbstverständlich. Ebenso, die Möglichkeiten von Facebook und Twitter zu nutzen, um mit Kunden zu kommunizieren. Schwieriger wird es beim Verkauf und Bereitstellung von digitalen Inhalten: Die Investition in eine eigene technische Infrastruktur für Vereinnahmung, Hosting und Online-Auslieferung von E-Books an Endkunden, das Einbinden von Zahlungssystemen, die Rechnungstellung an den Kunden und vieles mehr kann sich ein unabhängiger Sortimenter wohl kaum leisten. Eine plausible Alternative dazu scheinen somit die Angebote z.B. der Barsortimente, Shop-in-Shop-Lösungen in den Webauftritt der Buchhandlung zu integrieren, alles inklusive. Nur, so einfach diese Möglichkeit auch sein mag, es stellt sich die Frage: Kann ich meine Kunden tatsächlich binden, wenn ich sie über das Angebot Dritter bediene und womöglich nicht einmal kenne? Einerseits sucht man die Nähe zum Kunden, nur dann nicht, wenn das Geld fließt? Das widerspricht nicht nur den erwünschten Effekten aller Social Media-Aktivitäten, sondern auch der Logik des Sortiments.

Folgende Situation erscheint mir unmöglich: Ein Kunde steht persönlich vor Ort in der Buchhandlung und der Buchhändler muss ihn zunächst wegschicken, auf seine Webseite verweisen, wenn er ihm ein E-Book verkaufen will, in der Hoffnung, dass die Kauflaune solange anhält, bis der Kunde daheim ist, seinen Rechner eingeschaltet, die Seite der Buchhandlung gefunden, die Registrierung durchgeführt hat und sich dann noch an den Titel erinnert, den er zu kaufen gewillt war, als er den Tipp des Buchhändlers bekommen hat.

Wie also kann man sich die ideale Buchhandlung bzw. eine digitale Kundenerfahrung in einem “Brick-and-Mortar-Store” aus Kundensicht vorstellen? Sie muss vor allem intuitiv und einfach sein. Erstens, Kunden gehen in eine Buchhandlung, um ein Buch zu kaufen: Sei es einen Roman als gedrucktes Buch, das seinen Kauf bei jedem Blick auf die heimische Bibliothek mit seiner Präsenz allein rechtfertigt. Oder das Fachbuch als E-Book, das ihn die längst verloren geglaubte Passage eines Aufsatzes finden lässt und sie, mit Quellenverweis und Kommentar versehen, in meine eigene Literaturverwaltung einbindet. Nun, wer die Wahl hat, hat … Glück. Geht es nicht letztlich darum, den Erwerb eines Inhalts zu ermöglichen, in welcher medialen Form auch immer der Kunde ihn sich wünscht?

Zweitens ist anzunehmen, dass sich Kunden noch sehr viel eher in einer Buchhandlung zum Kauf eines Buches bewegen lassen würden, wenn sie zu dem gedruckten Exemplar zusätzlich auch die Nutzungsrechte an der digitalen Ausgabe erwerben könnten. Die Unabhängigkeit von einem physischen Träger ist ein Mehrwert! Übersetzt heißt das: Kunden kaufen ein Buch und das E-Book in einer Transaktion. Als sogenannte „Bundle“ werden Modelle dieser Art für die Buchbranche schon diskutiert und ausprobiert. Einige positive Beispiele gibt es bereits, und es wäre wünschenswert, wenn diese weniger die Ausnahme als die Regel werden würden.

In der Buchhandlung sollte der Kunde die Wahl haben, ein gedrucktes Buch zu kaufen, und seinen Reader, Reader sein zu lassen. Oder, wie selbstverständlich zur Kasse zu gehen und zu bezahlen – für das E-Book, das sich nach dem Kauf wie von Geisterhand auf sein Gerät übertragt. RFID, Bluetooth oder QR-Codes: Technisch gesehen ist heute schon vieles möglich. Tatsächlich testet Google derzeit in den USA ein solches Geschäftsmodell. Dort können Kunden mit entsprechenden Geräten in einer Buchhandlung QR-Codes der physischen Exemplare scannen und bekommen den gewünschten Titel dann digital auf das Endgerät geschickt. Die Buchhandlung wird beim Kauf als Verkäufer identifiziert und erhält für die Vermittlung eine Provision. Das ist sicher nur ein Anfang, der aber berücksichtigt, was einen Kauf in einer Buchhandlung auszeichnet: Den Erwerb aufgrund eines Impulses, einer Beratung oder der persönlichen Empfehlung durch die Person, zu welcher der Kunde eine direkte Beziehung hat.

Aber rentiert sich dieses Modell für den Buchhändler? Die Antwort auf diese Frage ist abhängig von der Rabattierung von Buch, E-Book oder eben Bundle sowie von den Kosten, die Dienstleister für die Bereitstellung der technischen Infrastruktur zur Übermittlung des E-Books einfordern werden, das von einem registrierten Händler an einen registrierten Kunden ausgeliefert werden muss. Auch wenn für Verlage der erste Impuls sein mag, Buch und E-Book separat oder über separate Vertriebswege zu verkaufen, ist es vielleicht gar nicht so naiv zu glauben, dass die Bereitschaft steigen wird, neue, innovative Modelle und Verkaufsoptionen für sich und den Handel zu erschließen.

Buchhändler, die eben nicht über eine eigene digitale Infrastruktur verfügen, müssen in Bezug auf Erlösmöglichkeiten beim Verkauf eines E-Books mit Abstrichen rechnen. Denn die Transaktion entspricht streng genommen einer Affiliate-Vermittlung, bei der die Erlöse sich üblicherweise irgendwo zwischen 5 und 10% bewegen. Betrachtet man allerdings die Vollkostenrechnung einer Buchhandlung, wird man sehen, dass eine Buchhandlung am Verkauf eines Buches (in gedruckter Form) auch nicht den gewährten Rabatt als Gewinn verbuchen kann. Bedenkt man also Lagerung, Porto- und Transport-, Miet- und Personalkosten (digital übrigens heißt dies: Media Asset Management, Hosting & Traffic, Wartungskosten etc.), dann lässt sich mit den im digitalen Bereich angebotenen Margen vielleicht sogar ganz gut kalkulieren. Den Kunden wird es freuen, und seine Währung ist die Loyalität, die ihn veranlasst, sich fortan unabhängig von der medialen Beschaffenheit des gewünschten Inhalts bei dem Buchhändler seines Vertrauens einzufinden.

Für den Handel wird es in den nächsten Monaten und Jahren vor allem darum gehen, die technischen Möglichkeiten aktiv einzufordern, die es ihm ermöglichen, am digitalen Geschäft zu partizipieren. Er muss Geschäftsmodelle unterstützen und umsetzen können, die das Sortiment als Zielgruppe verstehen und ihre Leistungen an der gegebenen Situation ausrichten: Nämlich der, dass sich ein Kunde in einer Buchhandlung befindet und dort in der einen oder anderen Form einen Inhalt erwerben möchte. Gesucht sind Geschäftsmodelle, die die Buchhandlung als einen augmentierten, d.h. digital angereicherten Raum verstehen, wo die Möglichkeiten digitaler Technologie und der besondere Ort in einem Erlösmodell zusammenfinden. Nur dann kann eine These der positiven Teilhabe des stationären Buchhandels am Handel mit digitalisierten Inhalten mit einem gewissen Recht vertreten werden.

(Der Beitrag erschien in Buchmarkt, Nr. 5, 2011 unter dem Titel: Digital dabei sein. Die Buchhandlung als augmentierter Raum)