Die FlaniesLeipzig ist eine Insel des Glücks. Die Stadt und die Menschen und die Buchmesse sind einfach nur toll. Natürlich ist das nur eine selektive und subjektive Wahrnehmung, die sich aber Jahr für Jahr persönlich und empirisch bestätigt.

Es ist schon auffällig wie freundlich die Menschen hier sind. Ein Scherz’chen hier, zuweilen selbst feine Ironie, eigentlich ergibt sich immer ein kurzes Gespräch mit prinzipiell positiv gestimmten Menschen.

Auch der Blick auf die Stadt erfreut grundsätzlich. Es ist ein schönes Gefühl, durch die Straßen zu laufen. Die Schwingungen der Stadt machen froh. Leider wird Leipzig langsam fertig, städteplanerisch und bautechnisch. Immer weniger alte und baufällige Substanz, schreckliche Architektur hält vermehrt Einzug, der die Markierungen der Subkultur aber hartnäckig Widerstand leisten.

Bei den Preisen in der Restaurants, Bars und Läden fühlt man sich in die 90er zurückversetzt. Allein die Hotelliers haben eine realistische Vorstellung turbokapitalistischer Prinzipien von Angebot und Nachfrage (was aber bestimmt an diesem Internet liegt).

Vegane Speisen selbst in schnöden Foodketten, vegane Burgerläden, vegetarische Restaurant an allen Orten. Und alles völlig authentisch, ohne den Hipstergestus der Hauptstadt. Ich vermute, in keiner Stadt Deutschlands kann man sich so gut und gesund ernähren wie in Leipzig. Das muss ein echter Wellnesstrip sein für die Mägen der Münchner, Berliner und Frankfurter Verlagsmenschen.

Auch die Leipziger Buchmesse ist besonders. Sieht man in Frankfurt verpeilte Anzugträger durch die Gänge eilen, so gleich Leipzig einem wohligen Bad von cosplayenden Freaks, die einem in aller Freundlichkeit ihr Alter Ego und ihre Outfits erklären, oder ihre Apparaturen demostrieren. Wo in Frankfurt die Prostituierten ihre Enttäuschung über das Buchmessen-Klientel zum Ausdruck bringen (menschliche Nähe suchen Buchpeople dort im Gegensatz zum Personal der Automobilbranche unter Gleichen) gibt es in Leipzig ‚Free Hugs’.

Eigentlich sind Verlage und VerlagsmanagerInnen in Leipzig überhaupt überflüssig – und es wird zunehmend sinnlos zu versuchen, in Leipzig geschäftliche Verabredungen zu vereinbaren. Hier geht es um den Austausch zwischen LeserInnen und AutorInnen, die sich auf eigenen Ständen präsentieren, auf unzähligen Events Informationen gewinnen können und den Kontakt zur Leserschaft suchen. Und auch das macht alle Beteiligten (LeserInnen und AutorInnen) sehr glücklich.

Wer in Zukunft die Vermittlungsrolle einnehmen wird zwischen AutorInnen und LeserInnen wurde überall deutlich: LiteraturbloggerInnen. Ihnen bereitete man ein herzliches Willkommen: Großzügig und unproblematisch vergab die Messegesellschaft Presseausweise (Ausnahmen bestätigen die Regel), stellte WLAN und Flächen zum Dialog unereinander und mit AutorInnen zur Verfügung. Verlage hießen BloggerInnen mit offen Armen willkommen, Pressearbeit heißt jetzt Blogger-Relations. Zwar füllten auch traditionelle Zeitungsmedien die Flächen (und Kassen der Buchmesse), die Hostessen konnten einem aber fast Leid tun in ihrem verzweifelten Versuch, Probeabos an die Frau und den Mann zu bringen.

Die Zeiten ändern sich, das war spürbar.

Viele Verlage und die meisten Dienstleister (zumindestens im digitalen Umfeld) haben auf einen eigenen Stand verzichtet. Und im Wissen darum hat die Buchmesse reagiert: An jeder Ecke gibt es Café’s mit ausreichend Platz und Tischen, um sich für ein Gespräch niederzulassen. Viele Konversationen finden in den Gängen statt, was eine gewisse Dynamik mit sich bringt. Das ist sehr förderlich, bedenkt man den Sinn einer Buchmesse: Möglichst viele Gespräche zu führen mit möglichst vielen Kollegen in möglichst kurzer Zeit – Tag und Nacht, schlafen kann man daheim.

Innovationen sucht man vergeblich. Sie haben mit der Leipziger Buchmesse ungefähr so viel zu tun wie der Mars mit Kartoffelanbau. Man bemüht sich, aber es ist kompliziert.

In diesem Jahr gab es einen Standkomplex mit dem bemühten Namen „Neuland 2.0“, an dem sich einige Start-ups der Verlagsszene präsentierten. Irgendwie bezeichnend, dass der Bereich am Messe-Donnerstag ein durch Wände abgeschlossener Bereich war, in den man voyeuristisch durch’s Fenster hineinlugen und dort alle Elemente der Start-up-Kultur entdecken konnte, die die deutsche Vorstellungskraft erwarten würde. Ein Forum mit legeren Sitzmöbeln und einem Kickertisch im Gravitationszentrum des Raumes. Auch am Messe-Sonntag war der Bereich (wie ich hörte) geschlossen, wie man es aus Frankfurt gewöhnt ist, wo von so vielen Kollegen aus Übersee (trotz Vertragsstrafen ob ihrer Abwesenheit) nur Spuren in Form von Visitenkarten zu finden sind.

Gut gefüllt war hingegen der Stand des COMPACT Verlags in Halle 5, von besorgten Bürgern, die sich von Mitarbeitern des Stands erklären ließen, wie man zielgerichtet die aktuelle deutsche Verfassung auszuhöhlen und den Raum östlich von “Mitteldeutschland” zu rekultivieren gedenkt. Es ist erfreulich, dass sich täglich Demonstranten einfanden, um gegen diese eklige Präsenz Stellung zu beziehen. Völlig unverständlich, warum die Buchmesse den Stand in unmittelbarer Nähe der „jungen Verlage“ platziert hat. Hier bin auf das Nachspiel und die Reaktionen der Verlagskollegen auf diese absurde Standpolitik der Buchmesse sehr gespannt. Andererseits spricht es natürlich für die Fähigkeit der Messegesellschaft, Stimmungen und Konflikte in der Gesellschaft aufzunehmen und in der Standplanung abzubilden, ohne Rücksicht darauf, dass diese Fähigkeit ökonomische Konsequenzen haben könnte.

Innovativ und zugleich mit größtmöglichem Understatement (und kleinstmöglicher Standfläche) zeigten sich – wie zu erwarten – die Flamen und Niederländer, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2016. Die „Flanies“ präsentierten VR-Kunst in Form virtuell-animierter Poesie und gaben einen vielversprechenden Ausblick auf das, was von Ihnen in Frankfurt zu erwarten ist. Man freut sich schon jetzt, oder auch: Nach der Messe ist vor der Messe.

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