Jakub Hałun, CC0, 1.0

Jakub Hałun, CC0, 1.0

Golem berichtete zum Jahresende über eine politische Initiative für den Weiterverkauf von Ebooks. Papierbücher könnten weiterverkauft werden, Ebooks hingegen nicht: Gegen diesen Unterschied wolle die Landesregierung Nordrhein-Westfalen nun vorgehen.

Die Debatte über einen digitalen Gebrauchtmarkt ist nicht neu, und sie wird international schon lange geführt (in Deutschland und den Niederlanden beschäftigt die Frage nach der Möglichkeit zum Wiederverkauf von Ebooks die Gerichte). Einen konstruktiven Beitrag dazu kann ich aber auf dem vom Justizministerium eingerichteten Portal Digitaler-Neustart.de bislang nicht erkennen. Ich möchte jedenfalls im Folgenden dazu beitragen, indem ich eine Reihe von Aspekten und Fragen in die Diskussion einbringen möchte.

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Das politische Postulat über den Wiederverkauf von Ebooks, wie es sich aktuell manifestiert, ist absurd und gefährlich. Denn einerseits verunsichert es die Autor*innen und Verlage in einer allgemein schwierigen Situation der digitalen Transformation. Andererseits unterstellt es eine Verbesserung einer zugestanden nicht zufrieden stellenden Situation für Leser*innen bei der Nutzung von Ebooks. Zu Ende gedacht läuft die Forderung nach einem digitalen Gebrauchtmarkt aber der eigenen Intention zuwider. Es ist ärgerlich, dass eine informierte Diskussion öffentlich nicht wirklich geführt wird.

Vermeintlich im Sinne der Verbraucher möchte Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) es Leser*innen ermöglichen, einmal erworbene Ebooks weitergeben, verkaufen oder verleihen zu können. Eine Initiative im Bundesrat ist geplant.

Wo Leser*innen bislang ein Nutzungsrecht erworben haben, sollen sie in Zukunft ein Eigentum an einem digitalen File besitzen. Denkt man diese Logik zu Ende, dann folgen daraus aber mindestens zwei Konsequenzen:

Entweder führt man das erst unlängst von den Verlagen in Deutschland selbst und freiwillig abgeschaffte DRM wieder ein (hat man von dieser positiven Entwicklung im NRW-Justizministerium schon einmal gehört?) oder es entsteht möglicherweise ein entweder völlig ungehegter oder technisch und administrativ überregulierter Markt für digitale Files mit einer Vielzahl von Plattformen, deren „Tücken“ noch viel unüberschaubarer sein werden als von den Plattformen, vor denen Kutschaty (so im Post von Golem zitiert) warnt. Ohne Zweifel aber gefährdet eine solche Initiative zur Schaffung Gebrauchtmarkts für Ebooks einen jungen, noch immer im Aufbau begriffenen Markt für digitale Inhalte ganz erheblich.

Sinngemäß würden Super-Plattformen ihren Nutzer*innen heutzutage AGB aufzwingen und ihnen den anonymen Zugang zu den gekauften Files erschweren. Persönlichkeitsrecht, Verbraucher- und Datenschutz, Vertragsrecht und Urheberrecht werden (zumindest in dem Post bei Golem) nicht wirklich differenziert. Dabei tun diese Plattformen genau das, was bislang Recht und Gesetz ist, nämlich Leser*innen ein zeitlich und räumlich möglicherweise beschränktes Nutzungsrecht einzuräumen. Dass man dazu die „Kontrolle“ über die Nutzer-Bibliotheken behalten muss, dass erschließt sich aus der Sache. Ein häufig in diesem Zusammenhang vernommenes Argument, die Plattformen würden das Leseverhaltens der Nutzer*innen überwachen, ließe sich leicht durch einen Wechsel des Ebook-Anbieters aus der Welt räumen, sollten Nutzer*innen hier wirklich bedenken haben. Es gäbe einige Ansätze, die aufgeführten Probleme einer Lösung zuzuführen. Davon hört man aber nichts.

Stattdessen steht ein „Gegenvorschlag“ im Raum, der gerade diesen Aspekt der Kontrolle in weitaus stärkerem Maße wieder ins Spiel bringt. So spricht man auf der Plattform Digitaler-Neustart.de von der Einführung eines „Dateneigentums“ nebst einer technischen Implementierung zur Kontrolle der Eigentumsrechte:

Denkbar wäre es, ein „Dateneigentum“ gesetzlich zu regeln, das übertragen und vererbt werden kann. Wer seine Daten auf fremden Servern ablegt (Cloud-Computing) wäre als „Dateneigentümer“ besser geschützt, z.B. im Falle der Insolvenz des Serverbetreibers. Dann müsste man auch festlegen, wem die Daten zuzuordnen sind, die Maschinen automatisch erzeugen und übermitteln. (Quelle)

Faktisch bedeutet die Forderung nach einem „Dateneigentum“ aber nichts anderes als die Forderung nach einer intelligenteren Kontrolle, einem „sophisticated DRM“, wie es beispielsweise von dem Sony-Spinoff Denuvo angeboten wird. Verschlüsselte Files könnten über eine zentrale Verwaltung einem Besitzer zugeordnet werden, eine Übertragung des Eigentumsrechts oder ein Verleih wäre so prinzipiell möglich, wenn das Eigentum von einer Nutzer*in zur nächsten überginge.

Aber hatten Verlage nicht erst im letzten Jahr sich von einem über alle Maßen benutzer-unfreundlichen DRM verabschiedet? (Hat man von dieser Entwicklung im Justizministerium Kenntnis?) – Wie kam diese Entwicklung zustande? Es waren Ressentiments und konkrete Beschwerden von Leser*innen und aus dem Buchhandel, die Verlage zum Umdenken bewegten. Die technischen DRM-„Lösungen“ der Firma Adobe waren unbezweifelt der ‚worst case‘ für den politisch doch so gewollten stationären Buchhandel und die Akzeptanz von Ebooks insgesamt, und sie haben wesentlich zum Erstarken weniger Verkaufsplattformen geführt. Und jetzt soll eine technisch skalierbare, zentrale Lösung Abhilfe schaffen? Eine Lösung, die Nutzerfreundlichkeit mit Performanz und Dauerhaftigkeit verbindet?

Hier fügt sich ein nicht abzuschließender Katalog von Fragen an:

– Woher sollte diese Lösung denn kommen? Wer sollte sie entwickeln und anbieten? Wer finanzieren?
– Wer sollte diese Lösung betreiben und die Betreiber kontrollieren?
– Könnte es eine dezentrale Lösung geben, wo mehrere Anbieter zugleich die Rechteverknüpfungen, nein, die Eigentumsbeziehungen steuern und kontrollieren?
– Wer hätte dann alles Zugriff auf die Bestände der persönlichen Bibliotheken? Vielleicht ist es Leser*innen ja vielleicht sogar lieber, dass z.B. nur Amazon über das Leseverhalten informiert ist, an Stelle (de)zentraler Institutionen zur Eigentumsverwaltung?
– Wer wäre zuständig für den Kundensupport bei technischen Fehlern und Problemen? Wie werden also Buchhändler, Verlage und Autor*innen in die Lage sein, Ebooks direkt zu verkaufen, wobei einzelne Transaktionen technisch registriert werden müssten? Ging es nicht gerade um die Vereinfachung der Transaktionen?
– Und vor allem, werden die großen Ebook-Plattformen mit ihren eigenen Apps, Ebook-Lesegeräten und DRM-Systemen diese (de)zentralen Institutionen oder Drittanbieter zur Verwaltung von digitalem Dateneigentum technisch und strategisch unterstützen? Wird man also z.B. Amazon dazu bewegen können, Transaktionen und Informationen über das Dateneigentum an Dritte zu übermitteln, damit eine (de)zentrale Eigentumsverwaltung in die Lage versetzt werden könnte, Nutzer*innen den Übertrag digitaler Inhalte zu ermöglichen?

Und nicht zuletzt stellen sich weitere, grundlegende Fragen (alle für sich sind eigene, umfassend komplexe Themen, die jeweils einen separaten Post verdient hätten):

– Könnte ein „sophisticated DRM“ Piraterie wirksam verhindern (besser als jede Verschlüsselungstechnologie bislang)?
– Wie könnte eine lokale, politische Regulierung im Kontext der zunehmenden Globalisierung der digitalen Märkte überhaupt funktionieren?
– Würde das „Dateneigentum“ nur für klassische Ebooks gelten (wie z.B. EPUB- oder MOBI-Files) oder auch für Online-Publikationen, also digitalen Inhalten, die über Browser gelesen werden können? Gäbe es damit ein Eigentumsrecht an Webinhalten?

Wenn man diesen Fragenkatalog genau betrachtet und durchdenkt, dann braucht man sich vermutlich keine Sorgen zu machen über die Wahrscheinlichkeit der Einführung eines technisch kontrollierten „Dateneigentums“. Aber mangelnder Realitätsbezug hat noch keine politische Entscheidung in Neuland je beeinflusst.

Unabhängig von einer Vielzahl weiterer, negativer Auswirkungen für Rechteinhaber*innen und Ebook-Shops würde es für Autor*innen und Verlage sehr schwer werden, ihr Geschäftsmodell anzupassen (was ja an sich nichts Schlimmes wäre). Ebooks sind ein Medienprodukt, das in der Regel nur einmal konsumiert wird und keinen bleibenden oder repräsentativen Wert besitzt. Geht man nun als Rechteinhaber*in oder Urheber davon aus, dass einzelne Titel potenziell unendlich oft digital weitergegeben oder verkauft werden können, dann stellt sich nicht allein die Frage nach dem richtigen Pricing der initialen Transaktion, sondern auch die Frage nach dem Geschäftsmodell für Autor*innen und Verlage insgesamt.

Die Preise für Ebooks würden sich um ein Vielfaches erhöhen müssen, weil Autor*innen und Verlage von einer geringeren Anzahl initialer Transaktionen ausgehen müssten. Die Backlist der Verlage und Autor*innen würde entwertet. Dies wäre der Tod des Ebooks und seiner Wertschöpfung, wie wir sie bislang kennen, denn Preise für Ebooks müssten weit über denen von gedruckten Büchern liegen, damit sich ein Angebot in irgendeiner Form rechnen ließe. Ein Vergleich zwischen dem Gebrauchtmarkt für gedruckte Bücher und Ebooks geht fehl, denn gedruckte Bücher haben auch nach ihrer Lektüre einen Wert, sei es nur der repräsentative Zweck in der eigenen Bibliothek oder die Freude, die mit dem Sammeln physischer Gegenstände verbunden ist.

Das branchen-politische Versagen im Zusammenhang mit der VG Wort (nicht nur in Bezug auf das Verhältnis von Urheber*in und Verwerter*in, sondern in Bezug auf digitale Inhalte insgesamt) lässt nicht darauf schließen, dass Verwertungsgesellschaften hier einen konstruktiven Beitrag leisten würden zur Unterstützung eines funktionierenden Geschäftsmodells auf Basis eines „Dateneigentums“.

Der wesentliche Unterschied zwischen einem physischen Buch und einem Ebook ist der Erschöpfungsgrundsatz, den man virtuell digital neu einführen müsste, wenn ich das richtig sehe. Das wäre eine Abkehr von einer mittlerweile digitalmedien-übergreifend gelernten digitalen Praxis. – Die Lizenz ist ein gutes Modell, denn sie regelt, was eine Nutzer*in mit einem digitalen Inhalt tun kann oder lassen soll. Sie hegt die unkontrollierte und ungewünschte Proliferation von digitalen Inhalten und pflegt die urheberrechtlichen Bindungen der Urheber*innen an ihr Werk, das sie ihren Leser*innen digital zur Verfügung stellen (eine Diskussion, die die Urheberrechtsdebatte des 18. Jahrhundert bestimmt hat, von der man sich aber in digitaler Hinsicht nicht hat inspirieren lassen).

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Ich verstehe diese Initiative des Justizministeriums NRW durchaus auch im Kontext der Bestrebungen der Lobbyisten-Verbände zur Senkung der Mehrwertsteuer für digitale Bücher. Hier hat man offenbar Fortschritte erzielt, und dieses Thema auf nationaler und europäischer Ebene vorangetragen. Man kann nur hoffen, dass mit dieser Forderung nicht zugleich eine Neuregelung des digitalen Marktes im Sinne eines „Dateneigentums“ verknüpft ist. Denn das wäre weit mehr als nur eine unerwünschte Nebenwirkung.

Und nicht zuletzt stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Preisbindung für Ebooks. Unterliegen gebrauchte Ebooks der Preisbindung oder nicht? Eine Frage, die sich erübrigt, wenn Ebooks als Schenkung den Eigentümer wechseln würden, klar. Aber für eine weitere, ausführliche Betrachtung dieses Aspekts fehlt mir zum jetzigen Zeitpunkt die Fantasie.

Insgesamt kann man nur hoffen, dass aus dem digitalen Neustart kein digitaler Fehlstart wird. Neue gesetzliche Regeln sollten unter technischen, politischen, rechtlichen, kulturellen und ökonomischen Gesichtspunkten umfassend und klug durchdacht und für Rechteinhaber*innen und Konsument*innen ausgewogen konzipiert werden. Ein frommer Wunsch. Im Zusammenhang mit der Forderung nach einem „Dateneigentum“ bei Ebooks scheint mir weder das eine noch das andere der Fall.

(Sebastian Posth, 7. Januar 2016)

Dem Blog Edel & Electric habe ich zu diesem Post ein Interview gegeben:

Zu Re/ Neuland – Über Dateneigentum bei Ebooks, Interview mit Mara Giese

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