Das Thema E-Books ist omnipräsent. Ob nun in Blogs, Fach- und Branchenmedien oder in Tageszeitungen, überall werden die Entwicklungen digitaler Textmedien und neuer Lesegeräte diskutiert. Vergleichsweise neu ist jedoch die Tatsache, dass Leser eine stets größer werdende Anzahl an E-Books auch tatsächlich kaufen oder ausleihen können, in zunehmendem Maße bieten Verlage sie zum Kauf und Download an. Neu ist auch, dass sich Verlage sogar Umsätze mit ihren digitalen und digitalisierten Inhalten versprechen, wenn auch die Verlautbarungen von Springer Science & Business Media im Sommer dieses Jahres vielleicht nicht völlig repräsentativ sind. Sollten dies Anzeichen dafür sein, dass sich der Markt langsam etabliert, sowohl auf Seiten der Anbieter als auch der Adressaten?
E-Books sind nicht mehr nur interessant für technisch versierte „early adopter“ – Verlage wie Endnutzer gleichermaßen. Spätestens seit im Frühjahr 2009 der SONY Reader als erstes Lesegerät (zunächst in einer Kooperation mit dem Großhändler Libri und der Buchhandelskette Thalia) mit einer gehörigen Medienresonanz einem breiten Publikum auf den deutschen Markt vorgestellt wurde, scheint die Tatsache auch hierzulande sehr viel greifbarer, dass sich die Verlagsbranche inmitten einer wichtigen medialen Veränderung befindet, einer Veränderung, an der insbesondere die Fachbibliotheken und Ihre Nutzer schon seit geraumer Zeit teilhaben. Denn für sie und die Anbieter wissenschaftlicher E-Publikationen, wie z.B. die großen Wissenschaftsverlage Springer SBM, Thieme oder Walter de Gruyter, ist das Thema E-Publishing keineswegs neu. Ihre wissenschaftlichen Fachzeitschriften, gebündelt in den unterschiedlichsten Paketen, werden bereits seit vielen Jahren in digitalen Formaten angeboten und vornehmlich an Universitätsbibliotheken lizenziert, neuerdings ergänzt durch E-Books, also monographische Titel oder Lehrbücher. Selbst in einigen öffentlichen Bibliotheken ist bereits ein Angebot an Sachbüchern verfügbar. Doch auch die Publikumsverlage bereiten sich in großem Stil auf die neue Medienwelt vor. Die Tatsache, dass zunehmend Romane oder Bestseller als E-Books verfügbar sein werden, zeigt um so mehr, dass es sich insgesamt um eine substanzielle Entwicklung handelt.
Diese digitale Entwicklung wird gestützt von zwei Faktoren. Zum einen die Tatsache, dass es bereits jetzt neben PC und Notebook eine Vielzahl mobiler Endgeräte gibt, welche E-Books in unterschiedlichen Formaten anzeigen können; zum anderen, dass Titel in den Formaten angeboten werden, die sich für mobile Endgeräte eignen. Auf beide Aspekte dieser parallelen Entwicklung – ein weiterer Beleg für den allgemeinen Trend – soll im Folgenden kurz näher eingegangen werden. Zur Sprache kommen sollen jedoch auch die Schwierigkeiten, denen sich die Verlagsbranche und die Bibliothekswelt gerade im Hinblick auf die neuen Distributionsformate stellen müssen.
In der Mehrzahl werden E-Books auf dem deutschen Markt im PDF-Format angeboten. Der Adobe Reader ist die wohl bekannteste und meisten verwendete Lesesoftware, um PDF-Dateien anzeigen oder ausdrucken zu können. Er bietet zudem ein zuverlässiges Digitales Rechtemanagement, das den Anbietern digitaler Medien bzw. den Rechteinhabern erlaubt, den Nutzungsumfang der angebotenen Inhalte zu definieren und ggf. einzuschränken. Das üblicherweise als „Kopierschutz“ bezeichnete Verfahren verhindert nicht direkt die Kopie der Datei selbst, bestimmt jedoch zum Beispiel, auf welchen und wie vielen Endgeräten der Endnutzer die Datei zu öffnen in der Lage ist, wie viele Downloads und Ausdrucke in welcher Zeit möglich sind, ja sogar, wie lange ein Dokument geöffnet werden kann. Letzteres Schutzverfahren wird insbesondere in öffentlichen Bibliotheken verwendet, um den Zugriff auf Medien virtuell zu verknappen und die Leihfristen nebst „Rückgabe“ technisch durchzuführen. In Universitätsbibliotheken hat es sich etabliert, den Zugriff zumeist über die IP-Adressen der Institutionen zu regeln, was Zugriff auf Dateien nur aus den internen Netzwerken der Bibliotheken erlaubt, welche die entsprechenden Inhalte lizenziert haben. Zumindest ein Zugriff „von außen“ wird hierbei unterbunden. Werden im Zusammenhang mit PDF-Dateien seit einiger Zeit auch andere Verfahren zur Verhinderung der Verbreitung unrechtmäßiger Kopien diskutiert (Digitales Wasserzeichen, Social-DRM), so muss die Debatte über „harte“ DRM-Schutzverfahren bei digitalen E-Book-Formaten angesichts ihrer technischen Beschaffenheit sicher noch einmal neu bewertet werden.
Neben dem PDF-Format steht seit 2008 auch ein weiteres Format im Fokus der öffentlichen Diskussion: EPUB. Dieses auf XML bzw. (X)HTML basierende Format erscheint gleichsam als sehnlichst erwartete Antwort auf alle Rufe nach einer internationalen Standardisierung des E-Book-Marktes. Wenn auch in vielerlei Hinsicht (insbesondere in den technischen Anwendungen) noch nicht hinreichend ausgereift, so ist dieser, in seiner Spezifikation offene Standard doch ganz sicher ein wichtiger Schritt, um die babylonische Formatverwirrung, die sich Endnutzern beim Besuch so mancher anglo-amerikanischer E-Book-Portale unweigerlich einstellen muss, deutlich einzugrenzen. Immer mehr Verlage, Bibliotheksinstitutionen und -Aggregatoren haben sich dem EPUB-Format verpflichtet. Und nicht zuletzt hat auch wiederum Adobe einen wichtigen Beitrag zur seiner Durchsetzung geleistet: Es ist das Unternehmen, das schon früh das wirtschaftliche Potenzial erkannt hat und im Begriff ist, den E-Book-Markt möglicherweise ebenso nachhaltig zu prägen, wie dies Google oder Amazon tun.
EPUB ist auch das Format, das von den meisten Herstellern von E-Ink-Readern, also dedizierten E-Book-Lesegeräten, unterstützt wird. Das liegt vor allem daran, dass PDF-Dateien auf E-Book-Readern nur mangelhaft angezeigt werden können, sie brechen den Text nicht um und „funktionieren“ schlicht auf den zumeist kleinen Displays nicht. Nicht nur SONY, auch Bookeen, IREX Technologies, Netronix, Tianjin Jinke Electronics, nicht zuletzt Plastic Logic und TXTR, die insbesondere auf dem deutschen Markt für Aufmerksamkeit sorgen, setzen deshalb auf EPUB und werden Software-Tools von Adobe in Ihrer Hardware einsetzen, um die Anzeige von (DRM-geschützten) EPUB-Dateien zu ermöglichen. Ob der Kindle-Reader EPUB-Dateien anzeigen wird, ist ungewiss, obgleich es trotz der Entscheidung von Amazon für ein proprietäres Format im Kontext des eigenen Distributionsmodells und trotz der Beteiligungen an Mobipocket und Lexcycle (Stanza-Reader) nicht völlig ausgeschlossen ist. An der Seite der verschiedenen E-Ink-Reader ist an dieser Stelle auch das iPhone bzw. der iPod touch zu erwähnen, der wohl zur Zeit am meisten verbreitete „E-Book-Reader“. Auch auf diesen Geräten können in unterschiedlichen Apps, die über iTunes auf das Gerät geladen werden, ungeschützte EPUB-Dateien angezeigt werden. Um auch geschützte EPUB-Dateien in ihre Anwendungen einzubeziehen, stellt auch hier Adobe den Anbietern dieser Apps die entsprechende Technologie zur Verfügung.
In dem gesamten E-Book-Umfeld scheint also das Thema DRM entgegen aller allgemeinen Tendenzen zur Abschaffung technischer Schutzmaßnahmen weiterhin von großer Bedeutung zu sein. DRM ist nicht schick, in dieser Auffassung sind sich vermutlich alle Beteiligten einig. Im Gegensatz jedoch zu PDF-Dateien und den Medienformaten der Musikindustrie, wo das Thema DRM nunmehr völlig abgeschrieben ist, muss bei mobilen E-Book-Formaten eine technische Dimension beachtet werden, die in allen Diskussionen über das Thema weitestgehend unerwähnt bleibt: Bei ungeschützten EPUB-Dateien handelt es sich faktisch um „offene“ (X)HTML-Dateien! Ob nun EPUB-Dateien illegal verbreitet werden oder nicht, das sei an dieser Stelle einmal vernachlässigt. Vielmehr geht es darum festzustellen, dass die Integrität der Inhalte bei ungeschützten EPUB-Dateien nicht gewährleistet ist. Das heißt konkret, dass Veränderungen der Texte an sich prinzipiell möglich sind, man muss die entsprechende EPUB-Datei dazu lediglich entzippen – eine Horrorvorstellung für Autoren und Verleger gleichermaßen. Die Entwicklung von digitalen Wasserzeichen und Hashwert-Berechnungen für die neuen Formate liegt in weiter Ferne. Aus den genannten Gründen ist nicht davon auszugehen, dass in in naher Zukunft nicht-gemeinfreie Titel in ungeschützten mobilen Formate für E-Book-Lesegeräte in E-Book-Shops und Bibliotheken angeboten werden. Und dies hat Konsequenzen.
Sei es nun beim Kauf oder bei der Ausleihe in Bibliotheken, es ist davon auszugehen, dass Endkundenportale und Aggregatoren, die digitale Inhalte für Bibliotheken bereitstellen, bei E-Books DRM-Verschlüsselungsverfahren einsetzen werden. Ferner ist davon auszugehen, dass der eingesetzte Technologie-Standard zur Verschlüsselung keineswegs offen ist, sondern auf absehbare Zeit von der Firma Adobe stammt, welche die wohl kompletteste und zuverlässigste Lösung bereitstellt, um PDF und EPUB-Dateien zu schützen (z.Z. der Adobe Content Server 4). In der Praxis heißt das aber, dass gewisse technische Hürden genommen werden müssen, von Anbietern und Endnutzern gleichermaßen: Jede erworbene oder ausgeliehene Datei muss zunächst registriert und individualisiert werden. Nach dem Download werden Endnutzer, sein Endgerät und das entsprechende E-Book über ihre persönliche Adobe-ID miteinander gekoppelt, um die jeweiligen, vom Anbieter implementierten Schutzmaßnahmen zu aktivieren. Erst dann können Endnutzer die Dateien mit der – und nur mit der – von Adobe bereitgestellten Software (Adobe Digital Editions) auf Reader oder PC öffnen, lesen oder ausdrucken. Zusätzlich zu den Login-Vorgängen der Portale und Bibliotheken kommt also ein weiterer Anmeldevorgang hinzu. Nicht nur für den technischen Laien mag dieses in den meisten Fällen gut funktionierende, zweifellos aber komplizierte Verfahren wohl eher unkomfortabel sein.
Die Vorteile der Entscheidung für einen internationalen E-Book-Standard EPUB sind jedoch nicht zu übersehen. Ein einheitliches Format – neben PDF, das ein wichtiges Format insbesondere im akademischen Umfeld sowie in Unternehmen bleiben wird –, das in der Lage ist, je sich nach Endgerät den unterschiedlichen Displaygrößen anzupassen, ist die notwendige Voraussetzung für E-Books auf mobilen Endgeräten und bietet die Chance für eine positive Entwicklung des E-Book-Marktes insgesamt. Und, vielleicht hat die aktuelle Entwicklung bei Formaten und E-Book-Lesegeräten noch einen weiteren Vorteil. Sie wird Verlage ermutigen, sich bei der Herstellung neuer Titel und digitaler Angebote mit dem Thema medienneutrale Datenhaltung und einer neuen Vertriebslogistik auseinander zu setzen – unausweichlich für die Verlage, die sich erfolgreich auf dem digitalen Terrain bewegen wollen. Weil z.B. die Erzeugung flexibler E-Book-Formate „im Nachhinein“, d.h. die Re-Konvertierung von digitalen Druckdaten nach EPUB, mühsam und kostspielig ist und so manche unerwartete Überraschung in sich birgt, rentiert sich die Investition in die Umstellung der Verlagsproduktion nachhaltig.
Die Weiterentwicklung digitaler Angebote in der Verlags- und Bibliothekswelt ist nicht aufzuhalten, wenn auch die meisten Distributionsmodelle noch in den Kinderschuhen stecken, ihre strategischen, juristischen und logistischen Implikationen zuweilen noch kontrovers verhandelt werden. Daran zeigt sich, dass die Bereitstellung eines digitales Sortiments, die Erzeugung von E-Book-Formaten und die Verfügbarkeit von Lesegeräten nur die eine, „manifeste“ Seite der Entwicklung darstellt. Darüber hinaus bliebe es zu wünschen, dass alle Teilnehmer des Marktes, die Verlage und ihre Autoren, Bibliotheken und ihre Aggregatoren, die Anbieter von Software, Hardware und Technologieplattformen, die Zwischenhändler, E-Book-Portale und ihre Endkunden in einen sachlichen und konstruktiven Dialog miteinander treten, um gemeinsam die jeweiligen, zuweilen sehr unterschiedlichen Ansprüche und Voraussetzungen zu definieren und zu diskutieren. Nur so können genau die digitalen Angebote geschnürt werden, die den Markt insgesamt überzeugen und weiter nach vorn bringen.