„Es gibt beim Urheberrecht weder ein ‚Sie‘ noch ein ‚Wir‘, sondern lediglich eine Gesellschaft, die vor dem Hintergrund neuer technologischer Bedingungen neue Formen des wirtschaftlichen Zusammenlebens finden muss.“ (Felix Stephan in der SZ vom 23./24. Juli 2012)

Es ist ein wenig ruhiger geworden in der aktuellen Urheberrechts-Debatte. (Nicht allein, dass ich diesen Text vor den Berliner Buchtagen verfasst habe. Peinlich berührt verdränge ich das, was sich dort zugetragen hat, ganz bewusst.) Wurde das Pulver in den Blogs und auf den Panels schon verschossen oder haben sich mit den gefüllten Unterschriften-Listen die Fronten erst formiert? Und was passiert als Nächstes? Herausgekommen ist jedenfalls bislang gar nichts, und auch Gewinner oder Verlierer (oder gar Opfer) sind noch nicht zu erkennen. So, what the fuzz?

Was wurde nicht alles geschrieben und gefordert: Das Urheberrecht sei am Abgrund, das Rechtssystem insgesamt nicht mehr zeitgemäß, es wurde der Blick in die Historie und in eine utopische Zukunft gewagt, Schreckensszenarios von der Kriminalisierung braver Kunden, von der totalen Kontrolle und Überwachung gegen die Verarmung der Künstler und Autoren ausgespielt, eine geile Umsonst-Mentalität gegen den wütenden Kapitalismus. War am Ende das Ganze also doch nicht so schlimm?

In der Regel bedeutet es nichts Gutes, wenn der Dialog verstummt, denn dies ist oftmals die Zeit der Lobbyisten, in der sich Macht und Einfluss nicht immer von ihrer besten Seite zeigen, wenn sie sich denn überhaupt zeigen. Von einer transparent und ergebnisoffen geführten Debatte auf politisch relevanter Ebene finden sich jedenfalls aktuell keine Anzeichen, trotz begrüßenswerter Aufrufe der Justizministerin. Die Tatsache, dass es ruhiger geworden ist in Sachen Urheberrecht, sollte die Vertreter der Rechteinhaber und Branchenverbände allerdings nicht beruhigen und in konservativer Verharrung erstarren lassen. Denn das Thema hat sich keineswegs erledigt. Wir befinden uns lediglich im „Tal der Enttäuschungen“, wenn man dem Gartner Hype-Cycle folgen möchte.

Mit einer Reihe von drei Posts möchte ich versuchen, das Thema noch einmal aufzurollen und auf die Spur, den „Pfad der Erleuchtung“ zu bringen. Vielleicht fällt dabei auch der eine oder andere konstruktive Vorschlag ab auf dem Weg zum „Plateau der Produktivität“. For what it’s worth.

Beginnen möchte ich mit einer Frage, die sich mir schon eine geraume Zeit stellt: „Was will der gemeine Netzaktivist?“ Nicht die Antworten auf diese Frage, jedoch These und Tenor meiner Beiträge will ich schon einmal vorwegnehmen: Die Diskussion für und wider das Urheberrecht ist unscharf. In ihr vermischen sich Ressentiments und rechtliche Erwägungen, Themen des allgemeinen Urheberrechts und konkreter (bilateraler) Vertrags- oder Verwertungsvereinbarungen, Fragen nach den zukünftigen Geschäftsmodellen und nach der Monetarisierung des kreativen Schaffens pauschal unter einem Sammelbegriff: „Urheberrecht“.

Meines Erachtens würde es der Debatte über das Urheberrecht nützen weil versachlichen, wenn sie sich von dem Begriff des Urheberrechts lösen würde und hinwenden zu einer Diskussion über mögliche, neue Geschäftsmodelle in digitalen Zeiten! Über diese Modelle möchte ich in den weiteren Texten sprechen.

Zu meiner „Verteidigung“ möchte ich zu Beginn anmerken:

1. Ich bin kein Jurist.
2. Der Fokus meiner Überlegungen wird bestimmt durch meine Arbeit als Buchverleger und Unternehmer, der sich seit vielen Jahren für die Entwicklung eines professionellen E-Book-Marktes einsetzt.
2. Ich erhebe nicht den Anspruch darauf, gleichermaßen für alle Aktivitäten und Ausprägungen der Verlagswelt zu sprechen, geschweige denn für die ganze Branche, vielleicht nicht einmal für die Branche. Mir ist bewusst, dass z.B. Publikumsverlage ganz anders auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren müssen als Wissenschaftsverlage, sich und ihre Geschäftsmodelle ganz unterschiedlich neu erfinden müssen.

„Was will also der gemeine Netzaktivist?“ Zu beantworten ist die Frage nicht ganz leicht, denn man muss die Positionen zunächst einmal destillieren aus einer Mixtur von Polemik und Zuschreibungen der Gegenseite, sprich derjenigen die glauben, etwas so vehement verteidigen zu müssen. Berthold Seliger hat Anfang Mai auf freitag.de einen guten Kommentar veröffentlicht und zugleich einen Fünf-Punkt-Plan für ein modernes Urheberrecht verfasst. An seinen Punkten möchte ich mich grob orientieren.

Beginnen aber möchte ich mit der Feststellung einer Merkwürdigkeit in seinem Text: Seliger schließt seinen Beitrag „Schneiden wir den Kuchen neu an“ mit einem allgemeinen Appell, der seine ansonsten recht konkreten Ausführungen dekonstruiert: „Das digitale Urheberrecht steht am Abgrund – es wird höchste Zeit, endlich die Ziele für eine Modernisierung des Urheberrechts neu zu formulieren und auf dieser Grundlage ein zeitgemäßes Rechtssystem zu entwickeln, das die Rechte der Künstler stärkt und der ganzen Gesellschaft dient.“ Aber, kann das Urheberrecht am Abgrund stehen? Reagiert das Rechtssystem nicht völlig gelassen auf die Veränderungen der medialen, wirtschaftlichen und politischen Ordnungen? Modernisiert das Urheberrecht sich nicht immer dann, wenn es den gesellschaftlichen Rückhalt einbüßt und seine Rechtfertigung aufgrund sich verändernder Markt- und Rahmenbedingungen zu verlieren droht? Das sollte es jedenfalls. Mir scheint allerdings, dass es weniger das Rechtssystem oder das Urheberrecht ist, das einer grundlegenden Reform bedarf. Vielmehr zwingen die medialen Voraussetzungen zu einer Reform der Institutionen und Geschäftsmodelle. Dies ist das Spielfeld für die Entwicklung von Kompromissen und Lösungsangeboten in der aktuellen Auseinandersetzung! Doch werfen wir einen Blick auf die Argumente der Debatte:

Schutzfristen

Eine oft vernommene Forderung, die es selbst ins Parteiprogramm der Piraten geschafft hat und die auch von Seliger aufgegriffen wird, ist die Verkürzung der Schutzfristen für das Urheberrecht und angrenzende Rechte. Sie seien mit in Deutschland aktuell 70 Jahren Dauer viel zu lang. Nun, gerade das Thema Schutzfristen wird oftmals hoch emotionalisiert diskutiert. Das Rechtsgefühl mag an dieser Stelle eine klare Sprache sprechen: Eine viele Generationen dauernde Paywall kann sehr leicht als ungerechtfertigt empfunden werden: Haben Erben denn ein Anrecht auf die Erlöse, die sich aus den Werken ihrer Vorfahren erzielen lassen? Und es ist tatsächlich eine Schande, wenn das Urheberrecht als Begründung dafür verwendet wird, kreatives Schaffen und künstlerisches Werke scheinbar willkürlich der Allgemeinheit zu verweigern. Wie lange soll es denn allein den Nachfahren oder Verwertern zugestanden werden, darüber zu entscheiden, ob Kunst und Literatur für die Allgemeinheit zugänglich sind oder nicht?

Zu allem übel ist das Thema Schutzfristen aber auch noch sehr verwickelt. Denn nicht nur die nationalen Regelungen garantieren Rechteinhabern den Schutz des Urheberrechts. Urheberrechtliche Schutzfristen sind international festgelegt und lassen sich nicht ohne Weiteres ändern: Die revidierte Berner Übereinkunft von 1908 rBÜ „garantiert eine minimale Schutzdauer von mindestens fünfzig Jahren über den Tod des Urhebers (post mortem auctoris) hinaus. Den Vertragsstaaten steht es offen, diese Zeitspanne zu verlängern.“ Das Welturheberrechtsabkommen von 1952 (zuletzt revidiert 1971) sieht (in der Regel) eine Schutzfrist von mindestens 25 Jahren vor und gilt für die Länder, welche die Berner Übereinkunft nicht unterzeichnet haben.

Die Regelungen des allgemeinen und international verankerten Urheberrechts sind das Eine, die konkreten Vereinbarungen von Nutzungs- oder Verwertungsverträgen das Andere. Beides darf jedoch nicht verwechselt werden! Kein internationales Recht kann einen Urheber daran hindern, seine Werke zu Lebzeiten oder posthum der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, seine Werke und persönlichen Archive Stiftungen oder Forschungsbibliotheken zu vermachen oder Nutzungsrechte an sie zu übertragen.

Vertragslaufzeiten

In der aktuellen Urheberrechtsdiskussion gehen die Überlegungen zur Verkürzung der Schutzfristen oftmals nahtlos über zur zweiten Forderung: Die Verkürzung der Vertragslaufzeiten. Seliger fasst die Position wie folgt zusammen: „Der Urheber, der sein Werk angemeldet hat, kann die Rechte an diesem Werk wie gehabt an einen Verwerter verkaufen, etwa an eine Plattenfirma. Allerdings: Die Rechte an dem Werk fallen zum Ende jeder zweijährigen Schutzfrist automatisch an den Urheber zurück – der es dann, eine Erneuerung seines Urheberrechts vorausgesetzt, erneut verkaufen kann.“ Warum ist die Erneuerung des Urheberrechts erforderlich, wenn ein Vertrag zwischen zwei (natürlichen oder juristischen) Personen eine begrenzte Laufzeit hat? Vielleicht wird mich ein Jurist eines besseren belehren, aber meines Erachtens wird hier ganz deutlich, dass es gerade in diesem Punkt nicht um eine Modifikation des Urheberrechts geht, sondern um eine veränderte Vertragspraxis.

Welche Verträge Autoren und Künstler mit ihren Verwertern abschließen, darüber bestimmen die Urheber selbst. Und so verlagert sich die Diskussion an dieser Stelle überdies signifikant – und vielleicht unsachgemäß: Von der Gegenüberstellung von Urheber und Nutzer zur Gegenüberstellung von Urheber und Verwerter. Der Verwerter ist aber ein Dienstleister des Urhebers, nicht sein Gegenüber! Zumindest in den meisten Fällen (und insofern es sich nicht um quasi-abhängige Geschäftsbeziehungen handelt). Ein Autor entscheidet sich z.B. für einen Verlag, weil dieser ihm dabei behilflich sein kann, Vertrieb und Vermarktung seines Werkes professionell durchzuführen. Autor und Verlage vereinbaren, wie lange und zu welchem Preis diese Leistungen erbracht werden sollen. Bei verkürzten Vertragslaufzeiten ist es dem Urheber möglich, die Leistungen des Verwerters konstant zu überprüfen und entsprechend zu reagieren, sollte er mit den Dienstleistungen seines Vertragspartners nicht weiter zufrieden sein.

In der Verlagsbranche wird insbesondere bei der Veröffentlichung von E-Books die Verkürzung der Vertragslaufzeiten bereits diskutiert und Autorenverträge mit einer kürzeren Laufzeit abgeschlossen. Und das ist – insbesondere aus der Perspektive der Urheber – sehr zu begrüßen. Denn so wird vermieden, dass Verlage es lediglich dabei bewenden lassen, einen Titel in digitalen Formaten (die weitestgehend ohne laufende Kosten für die Lagerhaltung dauerhaft angeboten werden können) schlicht „lieferbar“ zu halten, um so eine geforderte Minimal-Vertragsleistung zu erfüllen. Eine aktive Vermarktung von digitalen Neuerscheinungen und der Backlist ist im Interesse von Urheber und Verwerter. Die Vereinbarungen zur Verkürzung der Vertragslaufzeit bedürfen aber keinerlei gesetzlicher Regelungen, schon gar nicht einer Modifikation des Urheberrechts, sondern sie betreffen bilaterale Vereinbarungen zwischen Urhebern und Verwertern.

Zu beachten ist jedoch, dass sich bei einer kürzeren Vertragslaufzeit die Kalkulationsgrundlagen für die Parteien ändern werden. Dass es sich auf die Höhe der Honorare oder Vorabzahlungen niederschlägt, wenn einem Verlag weniger Zeit und Gelegenheit zur Verwertung von Rechten und Inhalten eingeräumt wird, das ergibt sich aus der Sache heraus. Hier können aber Autoren und Verlage gleichermaßen den Taschenrechner auspacken und das ganze einmal durchkalkulieren.

Zu bedenken ist ferner, dass die Verwaltung von Vertrags- und (digitalen) Nutzungsrechten zum aktuellen Zeitpunkt mit einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand verbunden ist. Verträge mit Autoren und Händlern müssen präzise verwaltet werden und – bei digitalen Inhalten – bereits an Shops ausgelieferte Titel pünktlich zurückgezogen werden. Keine unlösbare Aufgabe sicherlich, aber verbunden mit einer nennenswerten Investition in Software, Verwaltung und Logistik durch die Verwerter.

Opt-in

Auch in dem dritten Punkt, den Seliger anführt, scheinen sich die Ebenen zu verwirren; und auch in diesem Fall die Ebene des Urheberrechts (rechtefrei) und der Kommerzialisierung von Kunst und Literatur (kostenlos). So fordert Marcel Weiß (neunetz.com), das Urheberrecht von einem Opt-out- zu einem Opt-in-Modell zu ändern. Ein Werk, dass ein Autor kommerziell verwerten möchte, soll Weiß zufolge „bei einer zentralen Instanz dafür registriert“ werden. Wenn der Urheber glaubt, eine gewisse Schöpfungshöhe erreicht zu haben und sein „Werk geschützt sehen will, weil [er] damit Geld verdienen möchte, muss [er sich] direkt dafür entscheiden.“

Es scheint mir nicht nur sachlich abwegig, sondern auch wenig sinnvoll und praktikabel, dass das Urheberrecht nur dann gelten soll, wenn der Urheber ein Werk durch einen zusätzlichen formellen Akt für die kommerzielle Verwertung ausgeschrieben hat. Nicht das Urheberrecht sollte daher – wenn überhaupt – auf einem Opt-In-Modell basieren, sondern die Monetarisierung urheberrechtlich geschützter Werke. Ich glaube aber nicht, dass an dieser Stelle tatsächlich ein Handlungsbedarf besteht. Denn umgekehrt: wenn ein Autor sein Werk der Allgemeinheit zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung stellen möchte, dann kann er das tun, und sein Werk z.B. online veröffentlichen und es unter eine Creative Commons Lizenz stellen. Ein Opt-in für die freie Nutzung.

Faire Nutzung

Die Diskussion über das Urheberrecht scheint sich tatsächlich insbesondere an der Frage der digitalen Nutzung zu entzünden. Was ist eine legitime oder faire Nutzung und was nicht? Was ist noch eine private Nutzung und wo sind ihr Grenzen gesetzt? Wann müssen und wie können verbindliche Regelungen als Grundlage der Beurteilung geschaffen werden?

Oft und immer wieder wird der anglo-amerikanische Rechtsbegriff des „Fair Use“ ins Spiel gebracht, mit dessen Hilfe es möglich sein solle, zwischen einer angemessenen, „fairen“ Nutzung und einer nicht angemessenen Nutzung zu unterscheiden. So schreibt Seliger: „Wir benötigen ein Urheberrecht, das Kunst ermöglicht, statt sie zu verhindern. Ein Urheberrecht, das die kulturgeschichtlich seit Jahrhunderten gängige Praxis der Weiterverwendung und Weiterverarbeitung von Kunstwerken ermöglicht. ‚Samplen‘ zum Beispiel sollte dem ‚Fair Use‘ der US-Urheberrechtsdoktrin unterliegen und generell unbeschränkt erlaubt sein.“ Ich befürchte, dass hier die Diskussion zwischen den beiden Rechtssystemen ins Stocken zu geraten droht, wenn sich die eine Rechtstradition nicht ohne weiteres in die andere überführen lässt. Politisch und juristisch ist jedenfalls Skepsis angebracht.

Andererseits gibt es bei Texten bereits „Konventionen“, tradierte Formen des Umgangs mit prinzipiell zunächst vollumfänglich geschützen Werken, die es als „Ausnahmen“ in das Urheberrecht geschafft haben, wie z.B. das Zitat. Ob und warum in der Musik das „Samplen“ offenbar nicht als Zitat verstanden wird, ist mir nicht bekannt; einzusehen ist es jedenfalls nicht.

Strittig wird ‚die Sache’ bei der Privatkopie; zumal, wenn die von Endkunden erworbenen Dateien auch noch mit einem technischen Kopierschutz versehen wurden. Das Parteiprogramm der Piraten fordert, das unbeschränkte freie Kopieren und die freie Nutzung digital publizierter Werke zu nicht-kommerziellen Zwecken zu erlauben. DRM-Verfahren, die Privatkopien verhindern, werden konsequenter Weise abgelehnt – warum auch immer hier „moralische“ Gründe angeführt werden. Welchen Sinn es aber haben soll, „das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern“, erschließt sich mir nicht. Vielmehr halte ich diese Forderung aus strategischen Gründen in der aktuellen Situation sogar für ziemlich kontraproduktiv.

Privat/kommerziell vs. privat/öffentlich

Bedeutet also die Einräumung eines „Rechts auf Privatkopie“ gleichzeitig auch, dass Inhalte völlig frei zwischen Nutzer und Nutzer, Peer to Peer ausgetauscht werden? Vielleicht!

Bedeutet „Faire Nutzung“, dass Inhalte ohne Zustimmung des Urhebers kommerziell genutzt und veröffentlicht werden dürfen? Das kann sicher nicht im Interesse der Urheber und des Rechteinhabers sein! Und an dieser Stelle gilt es auch einmal zu erwähnen, dass sich hierin alle an der Diskussion Beteiligten weitestgehend einig sind: Ein Inhalt darf nicht ohne explizite Zustimmung des Rechteinhabers kommerziell verwertet werden!

Es gibt offensichtlich einen Unterschied zwischen privater und kommerzieller Nutzung. Die Piraten sprechen in ihrem Programm aber von einem „nichtkommerziellen Zugänglichmachen“. Wo aber die kommerzielle Nutzung beginnt und wo nicht, das ist nicht immer durch ein Preisschild zu entscheiden. Wo ist also die Grenze zwischen kommerzieller und nichtkommerzieller Nutzung? Nicht nur die Diskussion über das Leistungsschutzrecht zeigt, dass der Übergang hier fließend ist, und dass sich Wunschdenken und Machbarkeit oft unterscheiden.

Statt zwischen privater und kommerzieller Nutzung zu unterscheiden, wie es die Piraten tun, sollte man zwischen privater Nutzung und öffentlichem Zugänglichmachen (auch zu kommerziellen Zwecken) unterscheiden. So stünde jede öffentliche Nutzung, jede Veröffentlichung von Werken und Inhalten – und hier meine ich explizit nicht die Anführung von Zitaten oder Schnipseln, wie es der aktuell diskutierte Entwurf zum Leistungsschutzrecht vorsieht! – unter Vorbehalt der Zustimmung des Urhebers oder Rechteinhabers, die ihrerseits die Nutzungsmöglichkeiten ihrer Inhalte über CC-Lizenzen oder eine einfache Form der Lizenzierung kenntlich machen könnten – und sollten. Die aktuelle Situation bei der Lizenzierung von Inhalten zur kommerziellen Verwertung ist viel zu kompliziert.

Der wehrte Kunde … ein Pirat?

Wie weit geht aber die private Nutzung? Wo ist das Recht auf Privatkopie begrenzt? Wie lässt sich die Verbreitung einer urheberrechtlich geschützten Datei verhindern, oder zumindest eingrenzen? Und wie sollen Verlage reagieren, deren Leser beim Austausch von E-Book-Files auffallen?

Es scheint unvermeidlich: Obwohl es in der Musikbranche Dienste wie z.B. Spotify gibt, wo User werbefinanziert oder für nur einen geringen monatlichen Betrag unbegrenzt Musik konsumieren können, werden P2P-Dienste oder Download bzw. Streaming-Server weiter genutzt. Doch in welchem Umfang gilt dies auch für digitalisierte Texte?

Bücher sind keine Klingeltöne. Und deshalb wäre mein Rat, dass Verlage einmal herauszufinden versuchen, welche Titel ihres eigenen Sortiments illegal verbreitet werden, welche Inhalte also auf diese Art illegal genutzt werden, und welcher konkrete Schaden für sie als Rechteinhaber überhaupt entsteht. Beantwortet sind diese Fragen nicht, Spekulationen über Piraterie erfreuen sich jedoch großer Beliebtheit.

Solange das Thema Piraterie aber nicht hinreichend analysiert ist, halte ich es (persönlich) für keine gute Idee, wenn Verlage z.B. mit Abmahnungen auf ihre Leser losgehen. Denn im Zuge der Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells, sind Verlage nachgerade dazu angehalten, ein gutes Verhältnis zu ihren Lesern und potenziellen Kunden zu etablieren. Waren die „Kunden“ der Verlage in Zeiten des gedruckten Buchs hauptsächlich die Buchhändler, so ist der unmittelbare, vorurteilsfreie und freundliche Kundenkontakt in digitalen Zeiten von allerhöchster Bedeutung. Dies gilt es zu lernen.

Darüber hinaus gibt es weitere, völlig plausible Gründe, warum es gerade der Verlagsbranche nicht gut zu Gesicht stehen würde, sich zur Durchsetzung ihrer kommerziellen Interessen allzu lautstark für Ausbau von Zensur- und Überwachungs-Technologien zu Ungunsten der bürgerlichen Freiheitsrechte einzusetzen oder eine Verschärfung von Strafen für private Raubkopierer zu fordern. Verlage sollen sich für die Freiheit der Meinungsäußerung einsetzen und sich nicht dafür vereinnahmen lassen, dem Überwachungsstaat das Wort zu reden! Wer sich diesem publizistischen Imperativ nicht verpflichtet fühlt, der kann sich ja gern mit der Vorstellung aushelfen, dass eine allzu rigide Unternehmenspolitik auch negative kommerzielle Auswirkungen hat: Es ist irgendwie unsexy, als rechter Hardliner wahrgenommen zu werden, das aktuelle Image-Problem der Verlage löst es jedenfalls nicht.

Statt sich also auf die Aktivitäten ihrer Leser zu stürzen, sollten sich Verlage und Branchenverbände mit Lust und Leidenschaft darauf konzentrieren, juristisch gegen OneClick- oder Filehoster vorzugehen und professionelle Agenturen zu engagieren, um das Problem der illegalen Downloads oder Streamings dauerhaft und nachhaltig zu bekämpfen. Und hier sind sich alle Experten einig: Notice & Takedown-Strategien – konsequent verfolgt – sind das Mitte der Wahl und erzielen im Audiobereich bereits gute Erfolge!

Fazit

In der Debatte über das Urheberrecht geht es meiner Einschätzung nach also weniger um Schutzfristen oder Vertragslaufzeiten, sondern vielmehr um die Entscheidung für (oder gegen) ein digitales Geschäftsmodell. Es geht um einen neuen, modernen Stil des Verlegens.

Ich persönlich gehe davon aus, dass das Urheberrecht auch in einer völlig digital geprägten Welt grundsätzlich Bestand haben wird – und muss. Urheber oder Rechteinhaber sollen grundsätzlich entscheiden können, welche Inhalte in welchem Kontext zu welchen Konditionen veröffentlicht werden dürfen: Und das gilt für Musik, Fotos, Texte oder Filme gleichermaßen.

Ferner vermute ich, dass sich die Schutzfristen in absehbarer Zeit nicht verkürzen werden.

Auf der anderen Seite werden sich die Verträge zwischen Urhebern und Verwertern ändern – zugunsten einer größeren Flexibilität unter veränderten kommerziellen Rahmenbedingungen, die sich z.B. in kürzeren Vertragslaufzeiten oder einer anderen Aufteilung von Honoraren oder Vorabzahlungen ausdrücken werden.

Viel interessanter aber ist die Frage, was passieren würde, wenn sich Verlage dazu entschließen würden, die private Vervielfältigung von E-Books ohne weitere Gängelungen und unter Verzicht auf DRM zuzulassen. Vielleicht ließe sich sogar ein Modell finden, das es Verlagen ermöglichen würde, ohne gravierende ökonomische Nachteile ihren Kunden und auch den gemeinem Netzaktivisten entgegenzukommen? Vielleicht können Verlage – ganz im Gegenteil – sogar profitieren von einem entspannten Umgang mit der Tatsache, dass Leser mit digitalen Texten umzugehen wünschen wie sie es wollen, nicht wie die DRM-Software es vorgibt?

Also, lasst uns nicht über das Urheberrecht reden …

In den nächsten beiden Posts möchte ich näher eingehen auf aktuelle und neue Geschäftsmodelle der Verlage unter den Rahmenbedingungen einer digitalen Welt.

tl|dr

In der aktuellen Debatte über das Urheberrecht geht es weniger um das Urheberrecht, sondern vielmehr um die Frage nach einem Geschäftsmodell für Content-Anbieter. Verlage sollten den digitalen Realitäten affirmativ begegnen. Oder – DRM sucks!