Dieser Post ist der Beginn einer Reihe von Beiträgen, die sich mit der Zukunft der Verlagsbranche unter neuen medialen Bedingungen und dem „Neuen Urheberrecht“ (wie ich es nennen möchte) beschäftigen werden. Beginnen möchte ich mit dem Thema Selfpublishing.

Anfang Mai hatte sich für mich die Gelegenheit ergeben, auf der re:publica 2012 in Berlin an einem Panel zum Thema Selfpublishing, „was Autoren vom Self-Publishing erwarten können (und was nicht)“ teilzunehmen. Es hat mich sehr gefreut, in dieser Form an einer der vermutlich größten und wichtigsten Konferenzen zu digitalen Themen wie Netzpolitik, Social-Media, Internet-Technologie und Web-Kommunikation zu partizipieren.

Nachdem, was in den Wochen zuvor nicht alles passiert war und debattiert wurde, hatte ich mich gründlich vorbereitet auf die gemeinsame Podiumsdiskussion mit Ulrike Langer, Nicole Sowade, Wolfgang Tischer und Leander Wattig, welches von Johnny Haeusler moderiert wurde: Einerseits auf das Thema Selfpublishing und die Position und Neu-Positionierung von Autoren und Verlagen, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in den USA; andererseits auf die Frage nach dem Urheberrecht in digitalen Zeiten, ein Thema, das mich schon lange beschäftigt, das in den letzten Wochen aber eskaliert ist. Doch weder saß mir auf dem Panel ein JA Konrath gegenüber, noch wurde ich mit einer wilden Horde selfpublishender Piraten im Publikum konfrontiert. Ganz im Gegenteil.

Technik und Gelegenheit machen Selfpublisher

Obgleich selbst Verleger – und Verlagsmensch -, ging es mir in meinem Statement zum Selfpublishing (hier der Video-Mitschnitt der Veranstaltung) nicht missionarisch darum, in der vermeintlichen Konfrontation von Selfpublishern und Verlagen die Position der klassischen Verlagbranche zu vertreten. Vielmehr wollte ich den Blick auf einige (selbst)verlegerische, vertriebliche und kommerzielle Aspekte hin öffnen, die in der deutschen Diskussion über Selfpublishing oftmals in den Hintergrund geraten. Denn es ist keineswegs nur die Technik und Gelegenheit, die eine Autorin oder einen Autor zu einem erfolgreichen Selfpublisher macht.

Wenn man sich Wolfgang Tischers Bestseller ‚Amazon Kindle: Eigene E-Books erstellen und verkaufen‘ durchliest (und das empfehle ich jeder Verlegerin und jeder Verlagsmitarbeiterin), dann fragt man sich ganz ernsthaft, wo denn überhaupt der Unterschied zwischen Selfpublisher und Verlag liegen soll – abgesehen natürlich von der Tatsache, dass der Selfpublisher in der Regel auch die Autorin oder der Autor des Manuskripts ist, das es zu verlegen gilt. Durchläuft nicht jeder Selfpublisher und Verlag gleichermaßen alle Arbeitsprozesse, Lernkurven und Fehlschläge, um E-Books professionell zu erstellen und vertreiben? Ist nicht ein Selfpublisher per definitionem ein Verlag, der nur einen Autor vertritt?

Die Veröffentlichung eines Buches oder E-Books ist ein hartes Stück Arbeit. Man denke nur an das Lektorat, den inhaltlichen Feinschliff, der in so vielen Korrekturschleifen aus einem Manuskript ein Buch macht. Oder – der Kunst fundamental gegenüber gestellt – die Technik der Herstellung, wozu ich Covergestaltung, Satz & Layout, bei Büchern auch die Druckausstattung zählen würde. Nicht zu vergessen, die juristisch-kaufmännischen Sachen, wie die Kalkulation der Projektkosten, Pricing, Rechteklärung, MwSt., Buchpreisbindung, Belieferungs- und Impressumspflicht und, ja da war doch noch etwas, Steuer und Buchhaltung. Natürlich ist es Menschen-möglich, sich vollumfänglich und fleißig einzuarbeiten in alle Details, und sich zum Profi-Publisher weiter zu entwickeln. Aber möchte man als Autor das denn wirklich alles alleine tun?

Verlage stellen Autorinnen und Autoren dort ihre Dienstleistungen zur Verfügung, wo es notwendig ist, sich als UrheberIn von seinem Werk zu distanzieren, es als Objekt anzuschauen. Oder dort, wo das Wissen, die Erfahrungen und die persönlichen Beziehungen nicht hinreichen.

Und für diese Dienstleistungen werden Verlage übrigens bezahlt, entweder nach oder zur Erbringung der Leistung, wie im wissenschaftlichen Publizieren oder bei Open Access Modellen üblich. Oder AutorInnen und Verlage einigen sich auf ein Modell, in dem Verlage auf eigenes Risiko mit Arbeit und Geld in ihre Autoren und zukünftige Erlöse investieren. Just sayin’.

Technisch versiert, gut informiert, hervorragend organisiert

Doch wie steht es um den Vertrieb? Ist es nicht gerade aktuell bei steigender Popularität und Reichweite von E-Books umso leichter, die Leser selbstverlegter Titel zu adressieren?

Reicht es denn vielleicht aus, ein technisch versierter, gut informierter und hervorragend organisierter Autor zu sein, um E-Books zu verkaufen? Reicht es also vielleicht, das E-Book „zu programmieren“ und es über die vermutlich wichtigste Plattform für E-Books, den Amazon Kindle Shop zu verkaufen? Flankiert von Retweets und Likes der Social Media Kanäle und Community?

Die Debatte über Selfpublishing hat sich gerade in den USA in den letzten Wochen extrem zugespitzt. Und das hängt zusammen mit der Klage des amerikanischen Justizministeriums gegen Apple und die fünf größten Publikumsverlage. Nicht erst seit dem juristischen Theater des DoJ stand das Agency-Modell in der Kritik: Verlage würden mit festgesetzten Endverbraucherpreisen die Preisspirale ungerechtfertigt anziehen, Leidtragende seien die Kunden. Andererseits wurde die Sorge geäußert, Amazon sei der Profiteur der juristischen Aktion und könne (wieder) eine Monopolstellung entwickeln, die den Wettbewerb auf dem digitalen Markt – entgegen der ursprünglichen Intention des DoJ – erheblich erschweren könnte. Zwischen den Verlags- und Autorenverbänden und einigen prominenten selbstverlegenden Autoren herrscht große Uneinigkeit darüber, ob die Autoren von dem Preiskampf, der in den nicht-preisgebundenen Märkten zu erwarten ist, schlussendlich profitieren werden oder nicht. Warum die Debatte in den USA so emotional geführt wird, ist klar: Amazon hat einen Marktanteil von aktuell ca. 60% des E-Book-Marktes, der insgesamt ca. 19% des Gesamtmarktes ausmacht, 3-5% dieses E-Book-Marktes sind bereits selbstpublizierte Inhalte. Verkauft Amazon mehr E-Books, profitieren die Autoren, die ihre E-Books über Amazon verkaufen, so die Logik der Selfpublisher.

Hier in Deutschland – aufgrund der Buchpreisbindung immer noch eine Insel der Glückseligen – kam die Hitzigkeit der Auseinandersetzung nicht an. Und es hat einen Grund, warum die Debatte über Selfpublishing anders geführt wird, werden muss als in den USA: Es liegt an den anderen Umständen, den anderen Marktbedingungen hierzulande.

In den USA gibt es im Wesentlichen fünf Shops, die E-Books an Endkunden verkaufen: Amazon, Barnes & Noble (jetzt gemeinsam mit Microsoft), Kobo, Apple und Google. Die meisten bieten neben Verlagen auch Selfpublishern die Möglichkeit, Ihre E-Books über ihre Plattformen zu vertreiben. Der deutsche E-Book-Markt ist hingegen immer noch sehr klein: E-Books machen im Durchschnitt ca. 1% des Umsatzes der Verlagsbranche aus. Zwar ist Amazon auch hierzulande sehr stark, aber der deutsche Markt ist noch immer sehr heterogen. Das heißt, es gibt wesentlich mehr als 15 Händler mit weit über 20 Shops, die E-Books verkaufen, nur zwei davon stehen derzeit offen für Autoren ohne einen klassischen Verlag.

Würde man also von einem E-Book-Marktanteil von 1% ausgehen, würde man hiervon Amazon und Apple gemeinsam 50% zuschreiben (eine hypothetische Zahl die das Rechnen erleichtern soll), dann zeigt sich, wie viel Potenzial man als Autor auslässt, wenn man seine E-Books nur im Selbstverlag (über beide genannten Portale) und nicht über einen klassischen Verlag mit einem umfangreichen Netzwerk von Vertriebspartnern publiziert.

Und der zweite, viel wichtigere Punkt ist: Wie viel Potenzial lasse ich als Autor aus, wenn ich mein Buch nicht in gedruckter Form professionell durch einen Verlag über den klassischen Buchhandel vertreiben lasse?

Wie immer man auch rechnen mag: Fakt ist, dass sich Bücher im Vergleich zu E-Books aktuell um ein Vielfaches verkaufen. Berücksichtigt man nun auch noch den Erlös pro Verkauf: Bei E-Books, wo man als Selfpublisher vermutlich bei einem Preis von maximal 4,99 EUR landet, erhalten Autoren von Amazon 70% Ausschüttung. Der Preis eines Buches hingegen bewegt sich derzeit in der Regel jenseits der 10 EUR. Das bedeutet, dass Autoren trotz eines Autorenhonorars von durchschnittlich 10% bis 15% vom Verkaufspreis einen wesentlich höheren Gesamterlös mit professionell vertriebenen, gedruckten Büchern erzielen können als mit E-Books – auch wenn die Ausschüttung pro verkauftem Buch hier andere Zahlen suggeriert.

Was Verlage leisten

Es gibt eine Reihe von sehr plausiblen Gründen, sich als Autor auf die Zusammenarbeit mit einem klassischen Verlag einzulassen. Und in den USA tun dies auch zunehmend genau die AutorInnen, die als die amerikanischen Selfpublishing- und E-Book-Millionäre bekannt geworden sind.

Ein prominentes Beispiel ist in diesem Zusammenhang Amanda Hocking, die sich auf ihrem Blog www.worldofamandahocking.com sehr transparent und ausführlich für ihren Schritt gerechtfertigt hat, ihre Bücher ab nun von St. Martins Press (MacMillan) verlegen zu lassen. Und schaut man sich die Gründe an, dann geht es nicht nur ums Geld.

Hocking scheint insgesamt ganz gut betreut worden zu sein.

„I’ve loved working with my editor, publicists, and every member of the team I’ve been in contact with St. Martin’s.“

Auch die Marketing- und PR-Abteilungen scheinen einen guten Job gemacht zu haben.

„My publisher sent out an insane of amount ARCs to create early buzz. They worked with major retailers, like Wal-mart and Barnes & Noble to get placement, including many adds in important trade and book buying publications. There were also more ads aimed at readers, like a full page in the Hunger Games special edition of People magazine and commercials on MTV. They also set up a website for me and added some cool content there.“

Ein weiterer, interessanter Punkt (für Hocking) ist die Tatsache, dass die Bücher im englisch-sprachigen Raum über den ganzen Globus hinweg verfügbar sind.

„Overseas, Pan Macmillan has been doing a tremendous push with the English versions of my books as well. In the UK, they had posters for Switched set up in train stations all over. […] But across the board, the promotion in the UK, Asia, India, South Africa, and Australia has been phenomenal.“

Ein Trend in den USA: Die Organisation von Lesereisen (das nennt man in den USA auch „Meet & Greet“ oder „Teach & Speech“). Pearson hat sogar eine eigene Booking-Agentur gegründet, um die Autoren zur richtigen Zeit auf die Reise zu schicken.

„To gear up for the publication of Switched in January, I did a small press tour. In the US, that meant appearing on Anderson Cooper’s daytime talk show Anderson and on Erin Burnett’s show on CNN, as well as several interviews for newspapers, radio, and blogs. They also got reviews from major review publications, like Kirkus, Publisher’s Weekly, and the New York Times. My publisher set up a very cool meet and greet with local bloggers, and I did a book signing and reading.“

Den letzten Punkt aus Hockings Begründung habe ich oben bereits aufgeführt: Ein guter Vertrieb!

„But one of the biggest reasons I went with a publisher is because I wanted to expand outside of the pool of Amazon readership.“

Hocking ist kein Einzelfall. Auch E.L. James, die aktuell mit Ihrer Trilogie „Fifty Shades of Grey“, „Fifty Shades Darker“ und „Fifty Shades Freed“ für Furore sorgt, ist ebenfalls ein Beispiel für den ‚Shift‘ vom Selfpublisher zu einem klassischen Verlag.

Zusammengefasst, kann man also die folgenden Punkte aufführen, die es sinnvoll erscheinen lassen, sich als Autor für einen Verlag zu entscheiden:

– Verlage organisieren Lektorat sowie Herstellung und Artwork.

– Verlage zahlen (in der Regel) einen Vorschuss auf künftige Erlöse.

– Verlage kümmern sich um die Lizenzen, d.h. sie vermitteln die richtigen ausländischen Verlage und organisieren Übersetzungen z.B. ins Englische.

– Verlage machen Werbung, Pressearbeit und Marketing auf ganz vielen Ebenen. Das reicht von der Verschickung von Rezensionsexemplaren an Journalisten bis hin zur Bereitstellung von Leseproben für Google Booksearch oder Amazon Search Inside. In der Regel findet man Leseproben von Büchern in allen Online-Shops, so dass sich Leser im Vorfeld eine Meinung bilden können.

– In den USA haben Verlage Booking-Agenturen gegründet, die Lesereisen der AutorInnen organisieren, und sie kümmern sich um das Merchandising, einen Markt mit einer gewissen Zukunft.

– Nicht zuletzt sorgen Verlage dafür, dass die Bücher und E-Books ihrer Autoren in allen Shops und Buchhandlungen verfügbar sind. Hier haben Verlage mit ihren Vertretern und Vertriebsabteilungen sowie der Anbindung an die Barsortimente und den zentralen Einkauf der großen Buchhandelsketten ein sehr viel stärkeres Gewicht bei den Shops als der einzelne Autor.

– Bei der digitalen Distribution von E-Books verschicken Verlage Vorankündigungen, Neuerscheinungslisten und Newsletter an die E-Book-Shops. Im persönlichen Kontakt mit den Store-Managern besprechen professionell agierende Verlage die aktuellen Neuerscheinungen und wie man sie in den Shops am besten plaziert, z.B. auf Empfehlungsseiten, Genre- und Themenseiten. Oder man plant gemeinsam individuelle Features, Aktionen für einen Titel oder eine ganze Reihe.

Konvertiten aus beiden Lagern

Im Vorfeld des Panels auf der re-publica dachte ich mir, es sei vielleicht notwendig, eine realistische Einschätzung zu geben über den Aufwand beim Verlegen von Büchern und E-Books sowie über die Zahlen, d.h. die Reichweite und Erlösmöglichkeiten. Aber das war es gar nicht. Die Erwartungshaltungen waren sehr gedämpft, was das Potenzial von Selfpublishing in Deutschland betrifft. Und das ist gut so!

Dass der Markt für selbstverlegte Bücher noch immer recht klein ist, bedeutet aber nicht, dass das Thema insgesamt vom Tisch ist. Der Markt wächst, und Verlage sollten die Möglichkeit zum Selfpublishing keineswegs unterschätzen. Im Gegenteil; Verlage werden sich insbesondere bei E-Books sehr viel mehr anstrengen und mit professionellen Leistungen überzeugen müssen, um AutorInnen und die Rechte für den Vertrieb ihrer Inhalte in digitalen und gedruckten Formaten zu gewinnen. Denn das digitale Feld bietet die Gelegenheit, die aus einer Autorin oder einem Autor einen Selfpublisher macht.

Ganz selbstverständlich wird es Konvertiten geben, und damit meine ich sowohl Selfpublisher, die zu Verlagen wechseln als auch VerlagsautorInnen, die Buchprojekte im eigenen Namen vertreiben. Und Mix-Modelle, wo bestimmte Titel (in unterschiedlichen Formaten) je nach Eignung vom Autor selbst und vom Verlag publiziert werden.

Jede Autorin und jeder Autor sollte mit dem für ihn geeigneten Partner den Weg gehen, der dem besonderen Inhalt des Buches und der eigenen, individuellen Mentalität gerecht wird. Und dieser Partner kann Amazon sein, er kann aber auch – und gerade in kommerzieller Hinsicht – ein klassischer Verlag sein.